Eine vertraute Gestalt trat in mein Blickfeld und ich atmete ruckartig ein, als ich bemerkte, dass ich meinen Atem bisher angehalten hatte, wohl ohne es zu realisieren. Ich trat schnell, bevor ich noch zu viel darüber nachdenken konnte, einige Schritte auf Undertaker zu, bis ich schließlich direkt vor ihm stand. Dort ergriff ich dann mit beiden Händen seinen schwarzen Mantel, in den ich mich festkrallte, während ich mein Gesicht unter seiner Brust vergrub, wobei mein Geweih leicht mit seiner Brust kollidierte. Ich atmete leicht zittrig wieder aus, während ich das Gefühl hatte, dass etwas tief in meiner Brust förmlich zu zerspringen drohte. Es mochte sein, dass mich Mutter Natur in meinen Gebeten zu sich gerufen hatte, um mir den richtigen Weg zu zeigen, den Weg, der aus der Stadt Thalberg hinausführte, aber jetzt wenn ich direkt vor Undertaker stand, schaffte ich es einfach nicht meine Hände zu heben, um ihm diese Botschaft zu überbringen. Eigentlich eine frohe Botschaft, aber warum schmerzte der Gedanke dann so unendlich mehr, ihn zu verlassen, als er es bei allen anderen Wesen tat? Eigentlich eine Schande, ich war immerhin eine geistliche Person, ich sollte niemanden bevorzugen oder benachteiligen, aber doch fühlte ich mich zu schwach, um diesem Gefühl zu widerstehen.

Plötzlich hatte ich den Arm voller Cecil und war entsprechend überrascht darüber. Sicher, wir hatten uns beide nicht eben als Berührungsscheu erwiesen, in der Zeit in der wir uns nun schon kannten und miteinander gearbeitet hatten, trotzdem war es für mich immer noch eine ungewohnte Sache, dass mich jemand tatsächlich anfassen wollte, noch weniger eine wunderbare Person wie Cecil es war. Sobald ich mich aber gesammelt hatte legte ich meine eigenen Arme sofort, wenn auch etwas steif, um ihn und strich über seinen Rücken. Alles in Ordnung. Cecil konnte mich nicht hören, aber ich hoffte, dass ihn zumindest das Brummen in meiner Brust, welches er sicherlich spüren konnte, etwas beruhigte.

Spindelige, lange Finger strichen schließlich langsam über meinen nackten Rücken und ich entspannte mich erst nach und nach ein wenig, während sich auch mein Atem beruhigte. Ich spürte diese leichte Vibration, die sich von seiner Brust auf meinen Körper übertrug und ich wünschte mir in solchen Momente, seine Stimme zumindest einmal gehört haben zu können. Ich wusste natürlich, dass Mutter Natur ihre Gründe hatte, warum es auch Kinder wie mich gab, die ohne Gehörsinn durch das uns angedachte Leben schritten, aber ich hatte eben genauso meine schwachen Momente, wie eben jetzt, selbst wenn mein Glauben immer unerschüttert blieb. Erst nach einer Weile duckte ich mich verlegen und zog meinen Kopf und das Geweih somit auch zurück, bevor ich zu ihm aufsah und meine Hände dann auch beinahe schon krampfhaft locker ließ, ich musste mich fast schon dazu zwingen, aber ich hob sie dann doch tapfer zwischen uns. Entschuldige. Ich sah Undertaker von unten auf mit einer Mischung aus Verlegenheit und Trauer an. Ich... Meine Ohren senkten sich nach unten und meine Augenbrauen zogen sich zusammen. Ich bin hergekommen, um mich zu verabschieden.

Ich hielt Cecil solange er brauchte und hatte schließlich auch etwas davon. Ich spürte seine Wärme, seine Nähe und seinen Herzschlag, alles für mich wundersame Dinge, die ich so gerne hatte, besonders, wenn sie von diesem wunderbaren Satyren kamen. Ich ließ ihn nicht gerne los, wusste aber, dass er sich nur mit freien Händen verständigen konnte, mit ein Grund für meine Überraschung, dass er sich so an mich geklammert hatte. Aufmerksam folgte ich seinen Zeichen und zog hinter meinen Stirnfransen die Augenbrauen immer weiter und weiter zusammen. Verabschieden? Warum denn? Verlass mich nicht.

Trembles hoppelte an uns vorbei, wahrscheinlich um Ciel zu suchen, und mein Herz zog sich bei dem Gedanken zusammen, dass sie wahrscheinlich für lange Zeit nicht mehr gemeinsam spielen und kuscheln konnten. Natürlich würde ich Trembles nie zwingen bei mir zu bleiben, aber es beschwerte mich trotzdem, wenn auch noch immer nicht so viel, wie dieser Gedanke Undertaker verlassen zu müssen. Es war ein anderes Gefühl, ein noch größeres Gefühl als nur Trauer, sondern... Herzschmerz, wie ich mit etwas Schrecken feststellte. Denselben, den ich auch verspürt hatte, als mein ehemaliger Meister verstorben war, wenn auch intensiver, obwohl ich Undertaker nicht verlieren würde, vielleicht weil ich ihn verließ, vielleicht auch, weil ich ihn besser kannte. Weil ich nicht mehr ein Kind war voller mir unbekannter Gefühle, sondern viel weiter. Ich mag ihn mehr als einen guten Freund. Es war vermutlich gut, dass ich nicht sprechen konnte, denn bei dieser Realisation hätte ich vermutlich sowieso kein Wort herausgebracht. Ich werde auf Pilgerreise gehen. Hier in der Stadt werde ich nicht das tun können, was ich tun muss., deutete ich und meine Ohren senkten sich nur noch weiter hinab, bis sie schließlich ganz an meinem Kopf anlagen, während ich dort zu Undertaker hinaufsah, wo ich seine wie ich wusste wunderschönen gelbgrünen Augen hinter den Stirnfransen vermutete, Es ist mir nur nicht in den Sinn gekommen, dass es so schwierig sein würde, mich von dir zu verabschieden.

Cecils Gesten zu lesen war wie den Wasserfall bei der Mühle hinunter geworfen zu werden, es war nicht tödlich, hätte es aber genau so gut sein können, wie sich mein Körper anfühlte. Nein, nein, nein! Ich konnte nicht wieder jemanden verlieren dem mein Herz gehörte, selbst wenn der jenige nicht aus dem Leben gerissen wurde, sondern mich einfach nur verließ. Ich KONNTE es nicht, es würde mich zerstören, das wusste ich, ich brauchte Cecil, ich liebte ihn, er war der einzige der mich verstand, der hinter die unheimliche Fassade sah, die alle anderen abschreckte, der sich die Zeit genommen hatte mit mir zu reden statt gleich wieder weg zu laufen und das gegen jeden seiner Instinkte. Ich ließ mich vor Cecil auf die Knie fallen und starrte ihn eine Weile einfach schweigend an, die verdeckten Augen nun weit aufgerissen, der Körper wie erstarrt vor Furcht. Dann hoben sich meine Hände wie von selbst, ich konnte auch nur beobachten wie sie die nächsten folgenschweren Gesten formten. Lass mich mit dir gehen.

Unsicher zuckte ich zusammen, als die riesige Gestalt von Undertaker plötzlich vor mir auf die Knie fiel, wie man es vielleicht bei einem religiösen Erlebnis getan hätte, aber ich blieb vor ihm stehen, denn ich wusste, dass mir Undertaker nie etwas tun würde. Mein Herz pochte viel zu schnell in meiner Brust und alles in mir schrie wegzulaufen, nun, alles außer mein viel zu schnell schlagendes Herz. Auch jetzt wollte ich ihn nicht verlassen, egal wie sehr sich meine Natur dagegen sträubte, ich wollte bei ihm bleiben. Doch ich schien nicht die einzige Person mit diesen Gedanken gewesen zu sein, als Undertaker's Hände sich schließlich hoben und ich ihn aus aufgerissenen Augen anstarrte. Er scheint es wirklich zu wollen. Mit mir. Mein Mund stand offen, auch wenn ich natürlich keinen Ton machte, bevor ich ihn mit einem leisen Atemzug wieder schloss und meine Gesichtszüge langsam immer weicher und weicher wurden, wie ich auch spürte, dass sich innerlich eine heimelige, angenehme Wärme immer weiter in mir ausbreitete. Ich hob meine Hände noch ein Stück mehr, um die Gesten direkt vor seinem Gesicht zu formen, während sich meine Ohren langsam wieder aufstellten. Natürlich. Dann, bevor ich noch darüber nachdenken konnte, was ich hier tat, wie ein wahrlich verzweifeltes Wesen, nahm ich so sacht ich nur konnte sein Gesicht in meine beiden zitternden Hände und lehnte mich vor. Ich kniff fest die Augen zusammen, bevor ich etwas unbeholfen unsere Lippen miteinander verband.

Cecil sah mich an, als hätte ihn der Schlag getroffen und alle sich in mir langsam aufbauende Hoffnung floss wieder aus meinem Körper heraus. Natürlich wollte er mich nicht bei seiner Seite haben, ich war schließlich der unheimliche Undertaker, der Bringer des Todes, der Mann, der mit den Toten sprach. Doch dann antwortete Cecil mir mit einer einzigen Geste, einer Geste, die meiner Bitte unmissverständlich zustimmte. Natürlich. Obwohl es nicht ausgesprochen worden war, hallte das Wort immer wieder in meinem Kopf nach und meine Schultern sackten vor Erleichterung nach unten. Umso überraschter war ich allerdings dann von dem Kuss, den Cecil mir schließlich gab. Ich hatte schon Leute geküsst im Laufe meines langen Lebens, doch nie gepaart mit Gefühlen die auch nur irgendwie an die für Cecil heranreichten, meistens waren es Leute gewesen, die fest daran glaubten mit einem Todeskuss aus der Welt scheiden zu müssen und um es uns allen einfacher zu machen hatte ich zugestimmt. Ich war allerdings trotz dieser Tatsache etwa so ungeübt wie Cecil und dennoch war dieser kleine Kuss einfach perfekt. Meine Augen glitten zu und ich erwiderte ihn mit sanftem Druck. Das ist es also. Ich liebe ihn.

Es war das allererste Mal, dass ich so etwas in diese Richtung überhaupt versuchte, ich hatte mich niemals mit jemandem nahe oder bereit genug gefühlt, aber ich stellte mit großer Erleichterung fest, dass es Undertaker genauso zu gehen schien. Mein Fluchtimpuls schwächte sich langsam ab und auch wenn ich unglaublich nervös war über meine absolute Unbeholfenheit darin jemanden zu küssen, so fühlte es sich doch... richtig an. Es war nicht perfekt, aber die Person, mit der ich meinen ersten richtigen Kuss erlebte, war perfekt. Und der Kuss selbst, er sprach, er bettelte. Bitte bleib bei mir. Bitte komm mit mir. Ich spürte seine Nähe an mir und genoss seine Stärke, seine erwiderten Gefühle, die Alchemie zwischen uns, die sich windete und brennt und schließlich verschmolz, bis es sich anfühlte wie Gold. Schließlich trennte ich mich wieder langsam von ihm, unsere Lippen glitten voneinander und ich schlug die großen unsicheren Augen auf, in denen sich die Angst vor dem Unbekannten spiegelte, während ich sein Gesicht aber einfach nicht loslassen konnte. Meine Hände zitterten, während ich sie dort hielt, aber ich hätte sowieso keine richtige Geste gefunden, um das auszudrücken, was ich gerade fühlte.

Erst als unsere Lippen sich wieder trennten kam ich zurück in die Realität, die nicht weniger fabelhaft war als die Welt in der ich eben geschwebt hatte, denn auch hier war Cecil so nahe bei mir, dass ich jedes noch so kleine Detail an seinem Gesicht erkennen konnte, auch hier fühlte ich seine Wärme und seine Nähe und hatte die Sicherheit, dass ich sie auch weiter genießen würde. Ich werde dir überall hin folgen. Danke. Ein sanftes und für meine Verhältnisse sehr kleines Lächeln umspielte meine Lippen, auf denen ich immer noch die seinen spüren konnte, als hätte er sich nicht bereits zurück gezogen. Ich schmiegte mein Gesicht in seine Hände und spürte wie eine einzelne Träne sich aus meinem Auge löste und über meine Wange rollte. Ich war nicht mehr alleine. Nach so vielen Jahren war ich endlich nicht mehr einsam und ich wollte nie wieder zurück gehen. Ich folge dir bis ans Ende der Welt.

Auch auf meinen Lippen breitete sich ein weiches Lächeln aus, vertrauensvoll und ruhig, ganz entspannt, wie ich es auch war, wenn ich in der Natur betete. Wie ich es kaum erwarten konnte, zurück draußen in der Natur sein zu dürfen, frei, nicht mehr eingeschränkt von den Mauern der Stadt, egal wie schön und sicher diese auch war. Ich streckte meinen Daumen aus, um sanft die Träne aufzufangen, die über seine Wange rollte, um ihre Spuren zu verwischen. Trauer und Angst hatten mich zurückgehalten und sie würden mich auch immer wieder zurückhalten, doch nun hatte ich jemand an meiner Seite, der auch für mich mutig sein konnte und das für den Rest meines Lebens. Satyre konnten hunderte von Jahren alt werden, der älteste Satyr war im Alter von 1422 Jahren verstorben und ich hatte vor so lange an Undertaker's Seite zu bleiben, wie ich nur konnte. Dann komm mit., deutete ich ihm, als ich schließlich meine Hände von seinem Gesicht löste und ergriff stattdessen seine Hände, um ihm zu bedeuten, aufzustehen. Ciel und Trembles kamen an unsere Seite, gemeinsam und als wüssten sie bereits, was wir ohne ein gesprochenes Wort besprochen hatten. Ich genoss die Höhe, mit der mich Undertaker überragte und sah direkt zu ihm nach oben, während ich aber sanft seine Hände wieder losließ, um noch die wichtigsten Gesten zu deuten. Ich möchte dich nie wieder verlassen und wir werden nie wieder einsam sein. Mutter Natur persönlich hat uns zusammen geführt. Denn keine andere höhere Macht hätte mich jemals zu einem ihrer anderen Kinder führen können, für das ich geschaffen worden war, als Mutter Natur höchstpersönlich. Ich ergriff nun wieder sanft Undertaker's Hände in meinen eigenen, voller Vertrauen, ihm meine Stimme ebenfalls in die Hände zu geben, wie ich ihm auch meine Sicherheit auf alle unseren Reisen anvertrauen würde, bis ich irgendwann eines Tages ihm mein Schicksal sogar im Tode überlassen würde.

Ich bedachte Cecil mit einem Blick, den seit vielen, vielen Jahren niemand außer Ciel von mir gesehen hatte, ein Blick voller Wärme und Zuneigung und dem unbändigen Verlangen ihn zu beschützen. Wir waren nicht perfekt, nichts an uns war perfekt, Ciel war ängstlich und zurückhaltend und ich hing noch immer in der Vergangenheit fest, wie hatten beide unsere Probleme und unsere Päckchen zu tragen, doch gemeinsam würde es leichter werden damit vorwärts zu schreiten. Cecils Hände fühlten sich warm an und es war, als würde er direkt in meine Brust greifen und sie von innen heraus aufwärmen können. Ich lächelte und erhob mich, bereit Cecil zu folgen und ihn nie wieder zu verlassen. Er würde nicht so lange leben wie ich, auch wenn Satyren sehr alt werden konnten, doch ich sah unserer gemeinsamen Zukunft mit Freude entgegen, egal wie lange sie anhalten würde. Und vielleicht, wenn es an der Zeit für Cecil war zu gehen, war es auch endlich für mich soweit diese Welt hinter mir zu lassen. Wer wusste was auf der anderen Seite wartete, ich hoffte nur, dass ich auch dort mit diesem Satyren vereint sein konnte.