Solange ich ihn brauchte. Ich bezweifelte stark, dass er wirklich bis zum Ende dieser Woche bei mir bleiben wollte, oder es auch nur konnte, immerhin musste Cecil schlafen und essen und er hatte ja auch noch andere Verpflichtungen. Vielleicht würde es mir ja schneller gut genug gehen, dass ich innerlich nicht mehr schrie, wenn ich daran dachte, dass ich hier wieder alleine sitzen musste. Vielleicht. Mein Atem erleichterte sich wieder etwas und ich lehnte mich erneut leicht an die Seite des Satyren neben mir.

Erleichtert bemerkte ich, wie Undertaker sich wieder an meine Seite lehnte, auch seine Brust schien sich wieder etwas tiefer auf- und abzusenken, das war ebenfalls sehr beruhigend für mich. Ich hob schließlich aber wieder meine Hände, um ihm einfach kleine Geschichten zu erzählen. Ich wusste nicht, wie viel er davon mitbekam, weshalb ich mich bemühte die Gesten nur langsam zu zeigen, aber ich begann mit einer Sage, die in meiner Herde mir von dem damaligen Geistlichen erzählt worden war, Eingerahmt von dem südlichen Moor, dem Feenwald und Hiddenleaf, dem "Dorf der Feen", liegt ein ganz besonders magischer Ort, ein geheimnisvoller See. Mysteriöse Lichter scheinen aus den Seerosen zu entstammen, die gesamte Atmosphäre ist ruhig, aber zugleich voller Leben, das Wasser wirkt einladend, heilend. Mitten im See befindet sich eine kleine Insel mit einer einzelnen Bank, dort soll eine Fee ihre menschliche Liebhaberin verloren haben. Sie errichtete die Sitzbank dort, damit jeder, der an dieser Stelle sitzt, sich an die Bedeutung wahrer Liebe erinnern würde. Das es nicht darum geht, wer liebt, sondern dass man geliebt hat.

Ich brauchte eine kleine Weile um zu erkennen, dass Cecil angefangen hatte zu deuten. Ich hatte den Anfang verpasst, aber aus dem Kontext ließ sich erraten, dass um den Lebensraum der Feen gehen musste, in Illaemor. Es war eine ruhige, aber durchaus traurige Geschichte, die Cecil da anstimmte, eine Fee, die ihre Liebhaberin verloren hatte, eine Bank, wahre Liebe. Ich rührte mich wieder nicht viel, aber meine Augen, verdeckt von meinen Stirnfransen, folgten den Gesten, die Cecil da zum Besten gab.

Wahre Liebe, ein etwas schwieriges Konzept für mich, wenn ich ganz ehrlich war. Viele sprachen dabei von romantischer Liebe. Ich hatte oft mitbekommen, dass für viele das körperliche und das geistige zusammen gehörten, aber zumindest was ersteres anging, konnte ich das nicht bieten. Ich hatte mich noch nie körperlich zu jemandem hingezogen gefühlt. Vielleicht war es das Gefühl, dass Undertaker es vielleicht gar nicht sehen konnte, aber ich hatte den Mut meine Hände erneut zu heben, um zu deuten, Ich glaube, ich hatte mich damals in den Geistlichen verliebt, der mir alles über Mutter Natur beigebracht hat. Aber ich konnte nie genau wissen, welche Art von Liebe. Ich wusste definitiv, dass ich mich bisher nur zu männlichen Wesen hingezogen gefühlt hatte, aber selbst das konnte ich einfach nicht so genau festlegen. Familiäre, romantische, platonische, es gab so viele Arten und Weisen, in der man Liebe fühlen konnte.

Cecils Geständnis war möglicherweise etwas von dem er nicht erwartet hatte, dass ich es wirklich mitbekam, aber ich tat es und ich fragte mich in aller Stille ob der Satyr wohl fähig wäre mich zu lieben, wenn ich denn genug für ihn wäre, wovon ich nicht wirklich ausging. Ich habe nur einmal wahre Liebe erfahren. Das Ergebnis sitzt uns nun gegenüber. Meine Gesten waren nur langsam, ungenau, aber immerhin waren sie da, ich wusste nicht einmal warum ich plötzlich etwas mitteilte, nachdem ich Stunden, nein, Tagelang nichts von mir gegeben hatte.

Erstaunt sah ich, dass Undertaker selbst zu Gesten ausholte, aber ohne die großen ausschweifenden und doch sehr präzisen Gesten wirkte er so falsch. So mitgenommen. Mit großen Augen sah ich zu dem Skelett hinüber und dann wieder zu ihm. Wenn du jemals darüber erzählen möchtest, bin ich für dich da., deutete ich schließlich, wieder langsamer, Es scheint als hätten wir beide jemand wichtigen verloren. Es ist schwer durch solche Zeiten alleine gehen zu müssen. Ich hatte zumindest meinen Glauben gehabt, aber Undertaker konnte laut eigenen Aussagen immerhin nicht einmal das haben.

Cecil hatte völlig recht, es war schwer, aber wenn man es nicht anders kannte musste man damit eben klar kommen, er konnte davon immerhin auch ein Lied singen. Im übertragenen Sinne, ohne Gehör zu singen war wohl eher schwer möglich. Es war meine Schuld. Das jemand anderem mitzuteilen machte es nur umso realer, aber ich hatte viele, viele Jahre Zeit dazu gehabt darüber nachzudenken, es machte es also nicht viel schlimmer. Mutter und meine Schwester. Schwach deutete ich auf meine Death Scythe, an der das Skelett meiner Schwester angebracht war, das Skelett eines Kindes. Sie starben meinetwegen.

Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen, bevor ich langsam verstand. Es erklärte seine kurzen Worte nur über seine Abstammung, über andere Shinigami, aber ich konnte es irgendwie nicht ganz glauben, dass es wirklich seine Schuld war. Besorgt musterte ich ihn und lehnte mich wieder etwas an ihn, um ihm zu zeigen, dass ich für ihn da war. Warum deine Schuld?, fragte ich schließlich vorsichtig nach.

Wäre ich stärker gewesen hätte ich sie retten können. Ich hätte sie retten müssen. Ich war damals noch selbst ein Kind gewesen, ich war schwach gewesen, zu schwach um meinen Vater aufzuhalten, um die beiden wichtigsten Personen in meinem Leben zu retten. Wieder begannen stumme Tränen über meine Wangen zu rinnen, mein Gesichtsausdruck wieder ausdruckslos, mein Atem kaum merklich.

Wovor retten?, fragte ich schließlich nach einem großen Zögern nach, ich wollte Undertaker nicht bedrängen und ihn schien seine Erzählung sehr zu belasten, aber ich wollte ihn auch gerne verstehen. Vorsichtig nahm ich nun allerdings ein Stück von meinem Mantel und begann damit ganz zart seine Wangen abzutupfen, an denen nun wieder die Tränen nach unten rannen.

Vor meinem Vater. Die Geste für "Vater" fühlte sich so falsch an zu deuten, vor allem im Zusammenhang mit diesem Mann. Diesem Monster, das sich als meinen Vater aufgespielt und mich zu einem Leben in Einsamkeit verdammt hatte, während er sich feige das Leben nahm. Mutter wollte, dass wir fliehen, meine Schwester und ich, aber er kam zu früh zurück.

Besorgt zog ich meine Augenbrauen zusammen, als ich dieses Zeichen sah, eines das Undertaker zuvor noch nie benutzt hatte. Was ist dann passiert?, fragte ich mit vorsichtigen Gesten nach, bevor ich eine Hand nach dem deuten sanft an seinen Rücken legte.

Ich zögerte eine ganze Weile, doch dann bewegten sich meine Hände wie von selbst, als hätte sich ein Damm gelöst. Ich hatte nie darüber geredet, streng genommen tat ich es jetzt ja auch nicht, ich deutete, doch es hatte nie jemanden gegeben, der sich dafür interessiert hätte, oder auch nur jemanden, dem ich genug Vertrauen entgegenbrachte, dass ich diesen Part meines Lebens mit ihm teilen wollte. Er zerrte uns zurück ins Haus, er schlug mich nieder, ich konnte mich nicht mehr bewegen. Er richtete Mutter, meine Schwester und dann sich selbst. Ich überlebte. Ich weiß nicht wieso er das zuließ. Vielleicht um mich auch nach seinem Tod weiter zu strafen.

Entsetzt beobachtete ich die Gesten, die mir Undertaker deutete, doch es bestand keine Chance, dass ich Sachen falsch interpretierte, bisher hatte er es immer geschafft einwandfrei alle Gesten der Gebärdensprache richtig zu deuten und jetzt würde nicht die Ausnahme sein. Erst nach einer Weile schaffte ich es wieder meine Hände zu heben. Es tut mir so leid, dass du das durchleben musstest. In meine eigenen Augen waren nun auch Tränen gestiegen, aber ich hielt sie so gut ich konnte unten. Nichts was ich sage, kann deinen Verlust verringern, aber ich möchte für dich da sein in einer Zeit wie dieser, egal was das beinhaltet. Mutter Natur wird dieses ihrer Kinder sicher verstoßen haben.

Es war genau um diese Zeit, vor vielen, vielen Jahren. Zu viele, als dass ich sie noch gezählt hätte, ich wusste selbst nicht wie alt ich war, wann ich auf diese Welt gekommen war, wann meine Familie mich verlassen hatte, ja nicht einmal mehr genau wann ich mich hier in Thalberg niedergelassen hatte. Zeit war ein kleines, unwichtiges Ding für einen Shinigami, der den Tod kaum zu fürchten brauchte. Cecil deutete wieder, ich nahm es deutlich wahr, doch konnte es doch nicht verstehen, ich konnte nicht nachvollziehen wie er so mitfühlend sein konnte. Eigentlich hätte ich von dem tauben Satyren nichts anderes erwartet, aber solche Reaktionen hatte ich nie auf mich selbst bezogen, nur auf andere. Du bist hier... Es war sonst nie jemand um diese Zeit bei mir.