Etwas irritiert sah ich Maik an, einerseits konnte es sein, dass er als Heiler einfach über jeden so dachte, aber andererseits hatte er kurz etwas anderes sagen wollen, zumindest kam es mir so vor, aber ich wagte es lieber nicht nachzufragen, denn wenn ich ehrlich war, es war mir nicht anders ergangen. Ich wusste nicht wieso, aber ich wusste nicht, was ich getan hätte, wenn Maik in meinen Armen verstorben wäre. Ich wollte sehr lange diese Welt verlassen. Das einzige, was mich davon abgehalten hatte, war zu wissen, dass mir ein Platz im Höllenfeuer sicher sein würde. In meinem Glauben war sich das Leben zu beenden eine Sünde, eine die ich nicht vorhatte zu begehen, denn ich war der festen Überzeugung, dass ich nicht in der Hölle landen würde, ich tat alles, genauso wie es in meinem Glauben gerecht war, anders als die Personen, die ihre Wünsche bei mir eingelöst hatten, als wäre ich nicht mehr als ein Spielzeug für sie. Nicht einmal ein Lebewesen, nur ein Gegenstand. Ich sah hinaus aufs Meer. Ich nahm das Symbol meiner Halskette, die ich immer trug, in die Hand. Das ist es, was mich als Dschinn an diese Welt bindet, es ist von dem Fluch eines Drachen. Der Fluch war nie an mich gerichtet, es war eine Blutschuld, eine die ich nie abbezahlen werde. Ich wusste nicht, ob ich es noch bereuen würde, aber so viel hatte ich schon lange niemanden mehr über mich selber erzählt.

Etwas erstaunt sah ich zu Maik, der eine doch sehr entscheidende Frage stellte und sah dann auf meine Halskette hinab, es dauerte eine Weile, aber ich beschloss ihm auf die Frage zu antworten. Es war nicht so, dass ich es als Geheimnis hielt, die Person war immerhin vor über 1700 Jahren verstorben, die Narben auf meinem Rücken allerdings eine ewige Erinnerung an sie, wie auch die wenn auch verfälschten Sagen, die man sich über manche Ruinen erzählte. Ich streckte meine Hände aus und ließ eine Illusion erscheinen, zuerst flimmerte die Luft vor uns, bevor man nach und nach immer besser eine Gestalt erkennen konnte. Sie sah aus wie ich, nur mit weißen Haaren, ein Geburtsdefekt, man konnte sehen, dass das Tattoo des Drachen über ihrem Arm zu schweben schien, anders als bei meinem, in dem es sich verewigt hatte, er war dem Fluch immerhin durch seinen Tod gerade noch hautnah entkommen. Kalif Ahmed Pahlavi. Er war der Kalif gewesen, derjenige, der regiert hätte, und ich der Emir, derjenige, der niemals regiert hätte, außer mein Bruder wäre gestorben, aber zu keinem der beiden Szenarios war es wirklich gekommen. Unser Land existierte auch gar nicht mehr. Man konnte eindeutig sehen, dass wir Zwillinge waren, doch nicht nur seine Haare unterschieden ihn von mir, auch sein Blick war vollkommen anders. Er wirkte kalkulierend und bösartig, beinahe schon durchdringend an manchen Stellen, wie er dort vor uns saß, eine Illusion, mehr nicht.

Mein älterer Bruder., bestätigte ich mit einem Nicken, damals waren diese Rangordnungen noch sehr streng gewesen, heute war es inzwischen etwas besser geworden, aber ich war nicht mehr gewesen als ein Accessoires zu unserem adeligen Haus. Ich bemerkte Maik's Blick auf meinen Zwilling, ich konnte es ihm nicht verübeln, er war ein schrecklicher Mann gewesen. Grausam und gewalttätig, voller Hass und Gier. Er ist gestorben bei einem Attentat auf ihn, bevor sich der Fluch richtig an ihn binden konnte. Aber die Blutschuld hatte bezahlt werden müssen und diese Schuld arbeitete ich nun ab, seit über tausendsiebenhundert Jahren. Der Fluch galt auf ewig, es gab keinen Weg ihm zu entkommen, außer durch den Tod und selbst dann, wer wusste schon, was mich erwarten würde, wenn ich verflucht sterben würde.

Es hätte viele Leute gegeben, die ihn umbringen wollten. Ich war es nicht. Vielleicht welche unserer eigenen Leute, frustriert damit, wie wenig er sich um das Volk kümmerte, vielleicht einer unserer Verbündeten, als Rache für das gebrochene Bündnis. Meine Stimme war nicht wütend, sie war eher resigniert, müde. Es herrschte Krieg in unserem Land, aber er sah keinen Grund mit den Soldaten zu kämpfen und seine Sicherheit zu riskieren. Als unsere Verbündeten angegriffen wurden, verbot er den Soldaten ihnen beizustehen, wie sie uns beigestanden hatten. Hundert Peitschenhiebe für jeden, der sich ihm widersetzte. Er ließ sich von Sklavinnen verwöhnen, anstatt unseren Verbündeten zu helfen. Grave's Outpost, die Geschichte der "Klinge der Schatten", die damals das gesamte Land im Alleingang gerettet haben sollte, war damals geboren, ich hatte natürlich Hilfe gehabt, ich war nicht vollkommen alleine gewesen, ich war nur der einzige aus unserem Land gewesen, der sich gegen den Befehl meines Bruders gestellt hatte. Allerdings hatte die Geschichte, die man sich inzwischen erzählte, wenig mit mir zu tun, also hatte ich sie nie korrigiert, selbst wenn andere sie erzählt hatten. Viel lieber sollte man sich von einem unbekannten Kämpfer aus der unteren Schicht erzählen, ein wahrer Held eben, im Gegensatz zu mir.

Langsam nickte ich, während ich die Illusion mit einer Handbewegung wieder verschwinden ließ, vor uns lag nur wieder das wunderschöne Meer, in dem sich die Sterne spiegelten. Meine Mutter sollte darin gebadet haben, wenn ich sie richtig verstanden hatte, etwas damit, dass es Glück in Sachen Fruchtbarkeit bringen sollte, laut den Legenden. Vielleicht wäre ein Kind besser gewesen, als zwei. Es dauerte wieder eine Weile, bis ich etwas sagte. Ich behalte sie, weil sie eine Erinnerung sind. Maik würde wissen, auf was sich das bezog, er hatte immerhin auch schon kombiniert, woher ich diese Narben hatte, nun sagte ich ihm eben, warum. Natürlich könnte ich meine Form ändern, andauernd, wenn ich wollte, aber ich tat es nicht.

Maik nahm meine Worte, die ich damals zu ihm bei der Mühle gesagt hatte, und wandte sie nun an mich. Ich zuckte mit den Schultern, denn immerhin hatte ich ihm genau das gesagt, es war mir vollkommen bewusst, genauso wie es mir auch bewusst war, dass Maik einer der wenigen war, die mich in diesem Bereich zumindest ansatzweise verstehen konnten. Auch wenn seine Mutter sicherlich irgendwann sterben würde, der Fluch würde für immer bestehen bleiben. Sie sind eine Erinnerung dran, dass wenn man demjenigen nicht vertrauen kann, der einem am nächsten auf dieser Welt stehen soll, wem soll man dann überhaupt vertrauen?

Während Maik zum Himmel aufsah, sah ich passenderweise zu Boden, an meinen gefalteten Händen in meinem Schoß vorbei in den Sand direkt vor der Decke, die ich ausgebreitet hatte und auf der wir nun saßen. Ich wusste gar nicht, ob ich jemals ein Interesse an einer neuen Familie haben sollte, ich konnte es mir jedenfalls nicht vorstellen, ich hatte bereits Kassandra, wir waren dadurch gebunden, dass wir dieselben Verpflichtungen hatten, als Hüter und Wächter, aber was sollte ich mit einer Familie? Hatte Maik etwa seine neue Familie bereits gefunden? Ich kann dich einfach nicht verstehen. Ich schüttelte frustriert den Kopf.